hitcounter rasum: Von Kapitalisten und Kleinaktionären

23 Mai 2005

Von Kapitalisten und Kleinaktionären

Manchmal ist es erstaunlich, wie die politischen Fronten in Sachfragen in andern Ländern gerade umgekehrt verlaufen. Ein klassisches Beispiel ist die Beziehung zur EU. Während sich in Grossbritannien oder in der Schweiz die Opposition vor allem auf der national-konservativen Seite manifestiert, ist in Frankreich oder in Schweden eine EU-kritische Linke aktiv (vgl. das Verfassungsreferendum in Frankreich oder die schwedische Abstimmung zur Einführung des Euro). Der Grund für diese Konstellation ist einleuchtend: In konservativen Kreisen Grossbritanniens oder der Schweiz fürchtet man eine zentralistische und regulierungsfreundliche Brüsseler Fuchtel für die (relativ) liberale nationale Wirtschaftspolitik, wogegen in Schweden oder Frankreich die Furcht vor einem durch Brüssel erzwungenen «Neoliberalismus» vorherrscht.

Auch im politischen Tagesgeschäft entstehen manchmal verblüffende Konstellationen. Ein aktuelles Beispiel sind Mitspracherechte von Aktionären börsenkotierter Unternehmen. Weil eine starke Minderheit von Aktionären an der Generalversammlung der Nestlé beinahe Peter Brabecks Doppelmandat vereitelt hätte, ist diese Frage wieder auf der politischen Tagesordnung. Wie immer dieses Doppelmandat einzuschätzen ist – die Konstellation kleine, arme, rechtlose Aktionäre gegen die Führungsclique des mächtigen Nahrungsmittelkonzerns musste ja jeden mitfühlenden Menschen auf die Seite der Aufständischen ziehen. Wenig erstaunlich ist daher, dass die SP Schweiz – nota bene eine Partei, die sich in ihrem Parteiprogramm für die Überwindung des Kapitalismus ausspricht – im Nachgang mehrere parlamentarische Vorstösse zur Stärkung der Aktionärsrechte ankündigt. Sozialdemokraten als Vorreiter der Rechte von Kapitalisten?

Gleichzeitig spielt in Deutschland die rot-grüne Bundesregierung mit dem Gedanken, die Aktionärsrechte zu stutzen, nachdem sowohl der Vorstands- wie der Aufsichtsratsvorsitzende der Deutschen Börse im Gefolge ihres vereitelten Übernahmeplans der Londoner Börse auf Druck zweier Hedge-Fonds den Sessel räumen mussten.

Es ist halt alles eine Frage der Optik. Während der Chef der deutschen Sozialdemokraten Müntefering in den Aktionären auf Profit ausgerichtete Kapitalisten sieht, die sich wie Heuschrecken ihre Opfer aussuchen, diese aussaugen und danach weiterziehen, erliegt der Parteivorstand der SP der Unschuldigkeit des Begriffs «Kleinaktionär». Angesichts der Marktkapitalisierung von Nestlé von über 100 Mrd. Fr. ist allerdings auch mancher Grossinvestor ein kleiner Fisch… Zauberwirkung entfaltet ebenfalls der Begriff «Aktionärsdemokratie», eigentlich nichts anderes als eine krude Plutokratie. Ob die SP da nicht einem Marekting-Trick der Kapitalisten aufgesessen ist?

Immerhin sollte die Position der SP Schweiz positiv interpretiert werden: Vielleicht ist sie ja für einmal progressiver als die SPD und hat im Gegensatz zu dieser erkannt, dass auch unter SP-Wählern viele Kapitalbesitzer sind, die bei ihrer Altersvorsorge nicht bloss auf die AHV setzen. Von hier wäre es jedenfalls nur noch ein kleiner Schritt zur Erkenntnis, dass der vielgeschmähte Shareholder-Value (vielleicht spräche man besser von «Rentenwert») durchaus auch ein Anliegen der Linken sein könnte – auch wenn dies manchmal zulasten der Arbeitnehmer geht.

Das Beispiel zeigt, wie wichtig ein von Ideologien freier Blick ist. Eine moralisch wertende Unterscheidung zwischen Arbeitern und Kapitalbesitzern à la Müntefering ist absurd, weil in einer modernen Gesellschaft zu ersterer vom Fliessbandarbeiter bis zum CEO eines börsenkotierten multinationalen Unternehmens alle möglichen Bevölkerungsschichten gehören, während letztere sowohl die Versicherten der beruflichen Vorsorge wie auch internationale Hedge-Fonds (an denen möglicherweise wiederum Pensionskassen beteiligt sind) umfasst. Wenn wirklich neue Regeln für die Organisation von börsenkotierten Unternehmen eingeführt werden sollen, so darf der Blickwinkel nicht ideologisch verstellt, aber auch nicht durch einen einzelnen gescheiterten Aktionärsaufstand gegen einen machthungrigen Verwaltungsrat motiviert sein.

Was nämlich die beiden auf den ersten Blick diametral entgegengesetzten Positionen der SPD und der SP Schweiz eint, ist der Wunsch nach staatlicher Regulierung – sei dies nun zugunsten oder zulasten der Aktionäre. Hier ist ernsthaft zu prüfen, ob bzw. welche Regelung einer freiheitlichen Wirtschaft dient. Schliesslich ist es jeder Pensionskasse unbenommen, auf den Kauf von Anteilen an Hedge-Fonds oder aber von Aktien von Firmen mit «schlechter» Corporate Governance zu verzichten. Wenn es wirklich stimmen sollte, dass Hedge-Fonds nur auf kurzfristigen Gewinn aus sind und dass Doppelmandate zu einer schlechteren Performance führen, so müsste eine solche Strategie langfristig zu einer Traumrendite führen!