hitcounter rasum: Banale PISA-Studie?

03 Mai 2005

Banale PISA-Studie?

«Banal» seien die Erkenntnisse der kantonalen Auswertung der PISA-Studie – so das Verdikt des Dachverbandes Schweizer Lehrerinnen und Lehrer (LCH). Dass die Schulstrukturen keinen Einfluss auf die Leistungsergebnisse hätten, überrascht die Lehrer nicht. «Das weiss die Bildungswissenschaft seit 30 Jahren», meint der Kommentar zum Bericht des Bundesamts für Statistik. Man reibt sich verwundert die Augen: Offenbar waren die permanenten Schulreformen der vergangenen 30 Jahre nicht nur unnötig (zu diesem Schluss mag man im Nachhinein durchaus kommen), nein, der Wissenschaft und dem LCH war von Beginn weg klar, dass Reformen nichts bringen würden. Wurden denn diese Reformen, z.B. die Abschaffung von Noten und Selektion, ganz gegen den Willen der Erziehungswissenschaft und der Lehrerschaft durchgeführt? Welche Leute sassen in den verantwortlichen Erziehungsdirektionen? Lauter Aussenseiter und Querdenker der etablierten Wissenschaft?

Da auch scheinbar 30 Jahre alte Erkenntnisse bisweilen einer empirischen Überprüfung bedürfen, wäre eine Bestätigung der Unerheblichkeit von Schulstrukturen dennoch wertvoll – wenn sich dieser Befund denn tatsächlich aus der PISA-Studie herleiten liesse (immerhin wurden ja statistisch signifikante Leistungsunterschiede zwischen den Kantonen ausgewiesen). Selbst wenn die banale Erkenntnis tatsächlich das einzige Resultat der Studie wäre, schiene das in die Studie investierte Geld gut angelegt. Schliesslich kostet die Umsetzung jeder (notwendigen oder überflüssigen) Schulreform ein Vielfaches. Zudem: Ein Blick auf die Ranglisten deutet darauf hin, dass besonders reformfreudige Kantone, deren Schulsystem bald einer Gesamtschule ohne Noten entspricht (Tessin, Waadt, Bern), in der Studie unterdurchschnittlich abgeschnitten haben.

Wie jede statistische Erhebung lässt sich auch die PISA-Studie methodisch kritisieren. Ein Test, der international angelegt ist, ist sicher nicht das optimale Design für innerschweizerische Vergleiche. Wenn aber die Ergebnisse von 25'000 Schülern vorliegen, drängt sich eine kantonale Auswertung auf, schon nur, um feststellen zu können, dass die Diglossie in der Deutschschweiz kaum der Grund für die international nicht berauschende Lesefähigkeit der Schweizer Schüler sein kann – sonst müssten ja die Romands und Tessiner die Liste anführen.
Die Stichprobe ist sicherlich zu gross, als dass «die Unterschiede lediglich den Grad der zufälligen Übereinstimmung zwischen dem real praktizierten Lehrplan und den Testaufgaben [abbilden]», wie der LCH befürchtet. Wie wäre denn sonst die Ähnlichkeit der Ranglisten in allen vier geprüften Bereichen zu erklären?

Die PISA-Studie liefert keine endgültigen Aussagen, das ist auch nicht ihr Ziel. Sie bedarf zweifellos der Ergänzung durch qualitative Feldstudien, wie sie vom LCH propagiert werden. Unter methodischen Aspekten können derartige Feldstudien jedoch genauso kritisiert werden wie die PISA-Studie, schon nur darum, weil sie schwer zu vergleichen sind. Aber Vergleiche sind nicht das Anliegen des Verbandes; es könnten ja sonst 30 Jahre alte Erkenntnisse der Schulpädagogik untermauert werden. Gemäss der verqueren Logik des LCH sollten offenbar am Anfang der Untersuchung die erwünschten Resultate stehen, beispielsweise dass eine höhere Besoldung für bessere Leistung sorgt. Hernach müssen solche Dogmen in Feldstudien erhärtet werden. Als unnütz abgelehnt werden dagegen quantitative Studien, die Gefahr laufen, zur banalen Erkenntnis zu führen, dass weder Reformeifer noch hohe Lehrerlöhne gute Leistungen garantieren können. Die Experten der OECD sollten den nächsten Test wohl nicht mehr in den Schweizer Schulstuben durchführen, sondern die Daten gleich direkt vom LCH beziehen. Dieser wird dann schon dafür sorgen, dass diese der pädagogischen Wahrheit entsprechen.