hitcounter rasum: Juni 2005

18 Juni 2005

Die NZZ auf Abwegen

Seit langem habe ich in der NZZ keinen derart missglückten Kommentar gelesen wie in der heutigen Ausgabe. Thema war einmal mehr die Buchpreisbindung. In Anbetracht der wenig überzeugenden Argumentation ist nicht erstaunlich, dass der Text auf der Homepage nicht zugänglich ist. Aus diesem Grund kurz eine Zusammenfassung:

Roman Bucheli gibt zu, dass Kartelle an sich «etwas Hässliches» seien; nur handle es sich bei der Buchpreisbindung um eine Ausnahme, eine «solidarische Übereinkunft» (sic!) zwischen Anbietern und Nachfragern. Eine Mehrheit bevorzuge vielfältige Verlagsprogramme und sehe solche durch das freie Schalten der Marktkräfte nicht gewährleistet. Die Buchpreisbindung sei eine elegante Art, den Verlagen den gesellschaftlichen Nutzen, den die Vielfalt ihrer Programme stifte, abzugelten und sei anderen Mitteln staatlicher Förderung wie etwa in Form von Subventionen vorzuziehen. Ein Gesetz zum Schutze des Sammelrevers vor der Wettbewerbskommission sei überfällig.

Das Hauptproblem der «Analyse» ist, dass sie es unterlässt, die Argumentation der Buchhändler kritisch zu hinterfragen. Wenn es denn tatsächlich so wäre, dass die Buchpreisbindung die kulturelle Vielfalt ermöglichte, könnte man vielleicht tatsächlich zum Schluss des «kleinsten Übels» kommen. Leider überzeugt diese Behauptung aber in keiner Weise. Was ändert sich denn für die Verlage nach dem Wegfall des Kartells? Eigentlich nichts. Ob mit oder ohne Preisbildung: Der Verlag entscheidet (unter Berücksichtigung der erwarteten Zahlungsbereitschaft der Kunden), zu welchem Preis er seine Bücher dem Detailhandel verkauft.

Nichts hindert einen Verlag bereits heute daran, ausschliesslich «Bestseller» zu produzieren – sofern er überhaupt vorhersehen kann, aus welchem Werk ein solcher wird. Allerdings droht ihm ein Reputationsverlust: Die Verlage geben nämlich nicht bloss aus purer Liebe zur schönen Literatur Gedichtbände und andere unverkäufliche Bücher heraus. Dahinter steckt vielmehr der Wunsch, den Verlag bei der Leserschaft und bei Autoren als seriös (bzw. elitär) zu positionieren. Wie oft basiert man seine Entscheidung beim spontanen Bücherkauf darauf, ob das Werk aus gutem Hause kommt! In wissenschaftlichen Arbeiten wird der Verlag im Literaturverzeichnis aus diesem Grund erwähnt. Der Leser bekommt dadurch einen ersten Hinweis, wie die zitierte Quelle qualitativ einzuschätzen ist. Die Verlage haben also ein natürliches Interesse, hochwertige Bücher zu produzieren. Auch wenn diese vielleicht niemand liest, zieren sie doch das Verlagsprogramm. Das hängt aber nicht von der Preisbindung mit Einzelhandel ab.

Mit dem Argument der kulturellen Vielfalt versucht die Buchhändler-Lobby zu verbergen, wer auf Kosten der Konsumenten wirklich von der Buchpreisbildung profitiert: die Buchhändler selbst. Die Preisbildung verhindert nämlich die Strukturbereinigung in dieser Branche, da sie eine fixe Marge sichert. Wenn man also die Einheitspreise verteidigen will, dann mit dem Argument, man möchte die Vielzahl der Buchläden in der Deutschschweiz erhalten. Dies mag ein erstrebenswertes Ziel sein, insbesondere für Leute, die sich etwas anderes als den Status quo nicht vorstellen können. Auch ich finde diese kleinräumige Struktur sympathisch. Dennoch scheinen mir die Kosten, die mit dieser Strukturerhaltungspolitik einhergehen, eindeutig zu hoch:

  • Die Preise von Büchern werden zulasten der Leser künstlich hoch gehalten; dies kostet aber auch Universitäten und Bibliotheken und damit letztlich die Öffentliche Hand einen Haufen Geld.
  • Wegen der hohen Preise werden weniger Bücher gekauft, was weder den Verlagen noch der kulturellen Vielfalt, noch der Lesekompetenz der Bevölkerung zugute kommt.
  • Da der Wettbewerb über den Preis unterbunden ist, herrscht ausschliesslich Wettbewerb bezüglich der Qualität des Angebots und der Beratung. Gewinner sind die Buchläden mit einem grossen Sortiment und vielen Angestellten. Nicht jeder Kunde ist aber darauf angewiesen; oft würde er lieber etwas weniger bezahlen. Mit dem herrschenden System wird er gezwungen, von ihm nicht erwünschte Leistungen zu finanzieren.
  • Das System hat zu einem imposanten Aufblühen des privaten Imports von Büchern aus dem Ausland geführt. (Bei mir selbst ist die Importquote innerhalb von fünf Jahren von 0% auf geschätzte 80% geschnellt.) Die Schweizer Buchhändler sind dieser Konkurrenz wegen der Preisbindung wehrlos ausgeliefert. (Würde die Preisbindung in der Schweiz fallen, wäre die Schweiz selbst ein interessanter Standort für den Bücherexport nach Deutschland und Österreich.)
  • «Ein Kartell ist etwas Hässliches» muss auch Bucheli zugeben. Anders ausgedrückt: Lässt man ein solches im Buchhandel zu, warum denn nicht auch bei Apotheken, Zementherstellern, Bierbrauern, Notaren usw.? Aus marktwirtschaftlicher Sicht sind Kartelle immer ein Fremdkörper, die ordnungspolitischen Prinzipien widersprechen.


Ob die Strukturerhaltung im Schweizer Buchhandel all diese Nachteile aufwiegen, mag jeder für sich entscheiden. Für mich jedenfalls ist klar: Die Preisbindung muss weg – je schneller, desto besser.

Entscheidend wird sein, ob die marktwirtschaftlich orientierten Politiker und Parteien genügend Rückgrat besitzen, um eines der letzten harten Kartelle in der Schweiz zu brechen. Als Zeitung, die die Meinungsführerschaft in diesem Lande beansprucht, kommt der NZZ hierbei eine grosse Bedeutung zu. Seit langem haben in dieser Frage die Wirtschaftsredaktion und das Feuilleton eine unterschiedliche Sprache gesprochen. Neu ist, dass sich das Feuilleton auch im Inlandteil breitschlägt. Ob damit die Parteimeinung der FDP (und damit der politische Entscheid zugunsten der Buchhändler) bereits vorweggenommen ist? Hoffentlich nicht.

16 Juni 2005

Exportartikel Direkte Demokratie

Schon lange hat keine schweizerische Volksabstimmung mehr international eine derart starke Resonnanz gefunden wie der vergangene Urnengang zum Beitritt zu Schengen/Dublin. Dass die EU-Länder nach dem Fiasko in Frankreich und in den Niederlanden das Ergebnis zur Kenntnis nehmen würde, war noch zu erwarten. Besonders überrascht hat mich aber, dass die Abstimmung in der Schweiz offenbar auch in Russland ein Thema gewesen ist.

Jedenfalls bekam ich bald nach der Abstimmung ein E-Mail einer russischen Bekannten. Sie meinte, die Schweizer Abstimmung wäre in Russland mit grösster Aufmerksamkeit verfolgt worden. Dasselbe lese ich heute in einem Leserbrief in der NZZ. Eine kurze Eigabe in google.ru zeigt, dass tatsächlich nahezu alle Medien, also auch lokale Zeitungen und das Fernsehen, darüber ausführlich berichtet haben.

Das scheint mir schon bemerkenswert, zeigen doch gerade grosse Länder (aus verständlichen Gründen) in der Regel wenig Interesse an der Politik von Kleinstaaten. Aber eine Volksabstimmung ist natürlich immer etwas Spektakuläres (auch wenn man das in der Schweiz selten so wahrnimmt, weil man sich daran gewöhnt hat). Es ist für ausländische Medien auch einfacher, über eine Sachfrage zu berichten als beispielsweise über Wahlen, wo zuerst das politische System, die Parteien etc. erklärt werden müssen.

Und was halten nun die Russen vom Entscheid? Gemäss dem Leserbriefschreiber und auch gemäss meiner rudimentären Web-Recherche sind sie vor allem auf die verbesserten Reisemöglichkeiten scharf, die sich für russische Touristen ergeben, wenn das Schengen-Visum auch in der Schweiz gültig ist. Entsprechend wurde in diesen Kreisen der Beitritt begrüsst. Die Steigerung der Attraktivität der Schweiz als Tourismusland war als unbestrittener Vorteil eines Schengen-Beitritts ja sogar bei vielen gemässigten Gegnern ein gutes Argument.

Aber auch in Russland scheinen nicht alle diese Einschätzung zu teilen. Meine Gewährsfrau schien jedenfalls enttäuscht. Sie meinte, die Schweiz verliere dadurch an Unabhängigkeit und gehe langsam ihrer Neutralität verlustig. Sie täte besser, wenn sie ihr Heil in der Exklusivität suchte. Massentourismus könne ja kaum ein Ziel sein; die Hauptattraktion liege doch in der Ruhe und der Sicherheit in der Schweiz, was eher Luxustouristen anspreche. (Die AUNS könnte ihre Argumente kaum besser aufgehoben wissen.) Es wäre interessant zu wissen, ob dies eher eine Aussenseiter-Meinung in Russland ist oder ob sie das Bauchgefühl vieler Leute im Land wiedergibt.

Immerhin keimt in mir die Hoffnung, dass die erhöhte Aufmerksamkeit, die die Direkte Demokratie in letzter Zeit erfahren hat, dazu führen könnte, dass der Druck des Volkes auch in anderen Ländern steigt, dem Volk mehr Mitsprache zu geben. Ohne einer Missionierung das Wort reden zu wollen - aber die Direkte Demokratie ist ein Exportartikel mit Potenzial!

15 Juni 2005

Kleinerer Grosser Rat ist teurer

«Zum Glück gibt's bei uns keine Zürcher SVP», denkt man als Berner jeweils, wenn die gehässigen, oft an der Grenze zum Rassismus stehenden Abstimmungskampagnen der Blocher-Partei laufen. Da zieht man denn doch die Behäbigkeit der heimischen SVP-Sektion vor und ist versucht, über deren Rolle als Bremserin des Strukturwandels hinwegzusehen.

Doch diese Woche hätte man sich wieder einmal eine Sektion West der Zürcher SVP gewünscht: Die Grossräte befanden über ihren künftigen Lohn. Manch Berner Staatsangestellte, der sich in letzter Zeit kaum über Lohnerhöhungen freuen konnte, mag gestaunt haben: Nicht nur gönnten sich die Vertreter dieses finanzschwachen Kantons eine Erhöhung der Sitzungsgelder um satte 12.5% von Fr. 240 auf 270, daneben reichte es auch noch für die Einführung von Pauschalentschädigungen verschiedenster Art.

Das hehre Ziel der Erhöhungen heisst Professionalisierung des Parlaments, das künftig nur noch 160 statt 200 Mitglieder (-20%) umfasst. Wer je gedacht hat, dass die Verkleinerung eine (wenngleich bescheidene) Sparmassnahme bildet, sieht sich jedenfalls getäuscht, steigen doch die Kosten des Parlaments durch die beschlossenen Massnahmen um Fr. 400'000.- Es wäre ja auch naiv gewesen zu meinen, die von allen Parteien unterstützte Verkleinerung würde Steuern sparen!

Professionalisierung bedeutet Hinwendung zum Technokratentum und weitere Entfremdung vom steuerzahlenden Bürger. Die Folge: Da der Wähler die Grossräte des eigenen Wahlkreises nicht mehr persönlich kennt, wählt er in der Not diejenigen, die das meiste für die eigene Region herausgeholt haben. Der Abbau von Subventionen und anderer kleinen Geschenke, die die Verbundenheit mit dem Wahlkreis erhalten, ist damit vollständig illusorisch geworden.

Sind professionellere Parlamentarier wenigstens wirtschaftspolitisch beschlagen? Ein Blick über die Grenzen lässt Zweifel aufkommen. Ich habe jedenfalls nicht den Eindruck, dass – abgesehen von den rhetorischen Fähigkeiten – deutsche Bundestagsabgeordnete ökonomisch schlüssiger argumentierten als ein durchschnittlicher Grossrat des Kantons Bern. Zudem: Wäre Professionalität derart erstrebenswert, so müsste die Direkte Demokratie wohl schleunigst aufgegeben werden.

Aufgabe eines Parlamentes wäre zu «parlieren», d.h. neue Gesetze anzuregen und Gesetzesvorlagen kritisch zu prüfen und entweder zurückzuweisen oder (unter Umständen in verbesserter Form) abzusegnen. Dazu ist weniger «Professionalität» als vielmehr und vor allem gesunder Menschenverstand gefragt. Ein Milizparlament soll aus politisch interessierten, unabhängigen Personen bestehen, die die Vielfalt der Meinungen in einem Staatswesen abbilden. Profis sind in der Regierung und in der Verwaltung an der richtigen Stelle.

Zurück zu den Mehrausgaben des «Kleinen Rates»: In einem Kanton mit einer knappen Million Einwohner sind Fr. 400'000.- nicht viel: Aber symptomatisch für den Zustand der Berner Politik ist das Abstimmungsverhalten allemal. Einzige Opposition kam von der FDP, allerdings ist diese inzwischen schwach geworden: in der Endabstimmung stimmten gerade mal 9 (von 200) Grossräten gegen die neuen Entschädigungen!

Wie zu erwarten war, hat die Ablehnung der Steuersenkungsinitiative der FDP vor vier Monaten dazu geführt, dass die Ausgabenfreude der Politiker wieder zunimmt. Dabei werden die Politiker von den (quasi monopolistischen) Berner Medien brav sekundiert. So liest man etwa im «Bund», dass die Entschädigung für gute Arbeit nicht übertrieben sei. Diesbezüglich habe es in der Vergangenheit gemangelt, wie das komplette Versagen der Aufsichtspflicht im Fall der Lehrerpensionskasse gezeigt habe. Wie bitte? Man denke an die Entrüstung der Medien, wenn in der Privatwirtschaft ein Verwaltungsrat die Erhöhung seiner Bezüge beschlösse, der seine Kontrollfunktion vorher jahrelang vernachlässigt und die Firma beinahe in den Konkurs getrieben hätte…

Was dem Kanton Bern not tut, ist eine schlagkräftige Oppositionspartei, die sich konsequent für die Interessen der Steuerzahler einsetzt. Das Fehlen einer solchen muss man nach dem Grossratsbeschluss erneut konstatieren. Das – und nicht die Fr. 400'000 zusätzlicher Ausgaben – ist, was für die Zukunft des Kantons nachdenklich stimmt. Den kleinen Rat haben wir nun, den teuren auch, auf den guten müssen wir in Bern wohl noch eine Weile warten.